1400 Kilometer für British Lion: Ein Reisetagebuch

  • „Each thousand miles start with a single footstep“ – Richard Taylor, Sänger der Band British Lion, hätte kaum ein besseres Motto für meine bevorstehende Reise finden können, die am 15. November, im oberösterreichischen Wels startete. Mit großer Vorfreude, genügend Diesel im Tank meines schwarzen Golfes und exakt 257 Kilometer vor mir, begann mein Abenteuer am frühen Dienstagvormittag.

    Einmal in München angekommen und meinen kleinen silbernen Koffer in der Wohnung eines guten Freundes untergebracht, ging die Reise zur ersten von drei Stationen weiter: dem Münchner Technikum. Natürlich war ich gegen drei Uhr Nachmittag viel zu früh dort. „Scheiße. Das wird eine lange Warterei. Aber vielleicht können es ein paar andere Leute auch kaum erwarten und vielleicht kann ich noch ein wenig mit Steve (Harris) plaudern “, dachte ich mir. Kurze Zeit später bewahrheiteten sich diese Gedanken. „Hi, ich bin Tom“, sagte der äußerst sympathische Bayer. Neben uns waren bereits vier ältere Männer vor Ort.

    Bewaffnet mit Maiden Schallplatten und Silberlingen, dem aktuellen British Lion Album und einem Schlagzeugfell, warteten wir beim Backstageeingang des Technikums geduldig auf unsere Chance, Steve und seine Mannen bereits vor der Show abfangen zu können. In der Zwischenzeit plauderten wir über Gott und die Welt, über Politik und ließen uns über die Österreicher und die Deutschen aus. So herzhaft hab‘ ich selten gelacht. Daran konnten weder die Kälte noch der einsetzende Regen etwas ändern.

    „Could you please step back from the entrance?” – so die Worte des leicht angespannten aber sehr routinierten Security der Band. Wie sich später herausstellte, ist der gut gebaute, etwa 1,90 große und bärtige Typ auch der Chef-Sicherheitsmann von Iron Maiden. Gesagt getan. Dabei war das schelmische Grinsen von Grahame Leslie, dem großen, schmal gebauten und blonden Gitarristen, kaum zu übersehen. „Excuse me sir, would it be possible that you sign this album for me?”, fragte ich. “Which one? Ours?”, fragte der exzellente Gitarrist und sehr sympathische Engländer. Na eh klar, oder? Ich geb‘ ihm doch kein Maiden Album? Mit einem noch größeren Grinsen und einem Funkeln in den Augen nahm er den Silberling und trug ihn zu seinen Bandkollegen. Mit einem unterschriebenen Booklet kam er zurück. Meine Freude war grenzenlos.

    Übertrumpft wurde sie aber, als Steve nach einem Fotoshooting vorbeikam. Leise und verhalten fragte ich ihn, ob er vielleicht die LP-Version und die limitierte CD Version von Maidens „The Book of Souls“ und die Vinyl-Pressung von „Piece Of Mind“ für mich signieren könnte. Das war natürlich kein Problem. Ich hatte regelrechtes Herzklopfen als er neben mir stand. Anschließend fragte ich ihn, ob er vielleicht weiß, wo ich noch ein halbwegs leistbares Exemplar der „Soundhouse Tapes“ herbekomme. „Ich hab vielleicht noch einige in England herumliegen. Hier habe ich keines“, antwortete der Maiden-Boss. Ob er keine Quellen hat? „Weißt du was? Schreib mir einfach deinen Name und deine Adresse auf. Da lässt sich dann sicher was machen.“, versprach Mr. Harris.

    Im Laufe des Abends stieß auch mein Bekannter Kevin, gefolgt von seiner Freundin Babsi und einem Freund aus Bayern, zu Tom und mir. Das Quintett war vollständig. Kevin ist ein überzeugter Maiden-Fan, wie er im Buche steht: auf der diesjährigen Book Of Souls Welttournee besuchte er acht Konzerte in fast ganz Europa. Darunter in Spanien, Österreich und Rumänien. Gemeinsam gingen Tom, Kevin und ich noch etwas auf ein Bier und eine überteuerte „Apfelschorle“ um 5 Euro in das gegenüberliegende Lokal mit dem Namen „Die Nachtkantine“. Ein großes Lokal mit Tanzfläche und einem eigenen Pizzaofen.

    Schade, dass die gesamten Gebäude in dieser Gegend künftig Wohnungen weichen sollen.

    Um 19 Uhr war es dann soweit: die Mitarbeiter des Technikums öffneten die Pforten des Clubs. Die ungefähr 15 Leute strömten hinein und sicherten sich ihre Plätze in der ersten Reihe. Der Platz rechts vor der Bühne sollte sich im weiteren Verlauf der Reise zu meinem „Stammplatz“ entwickeln. Pünktlich um acht starteten die Briten von Voodoo Six ihre Show. Mit ihrem herzhaften Hard Rock brachten sie die mittlerweile rund 60 Besucher zum Nicken. „Are you ready for British Lion?“ fragte der bärtige Sänger mit den netten Locken am Kopf vor dem letzten Song ihres Sets. Das verhaltene Publikum versuchte aus sich herauszukommen. Ein zurückhaltendes „Yeah“ hallte durch das mittlerweile mit etwa 150 Gästen gut besuchte Technikum. Bei einer kurzen Rauchpause in der Umbauphase lernte ich dann Mick und Michael von der Metal Crew kennen. Wie sich herausstellte, suchten sie damals noch einen „Schreiberling“. Tja, und hier ist mein erster Beitrag.

    Mit britischer Pünktlichkeit betraten nach einem kurzen Intro die Mannen von British Lion die Bühne und eröffneten ihre. Das Grinsen auf meinen Lippen war kaum zu übersehen. Die Meute hatte eine gute Zeit. Meine Angst, die Band würde „nur“ das Debutalbum von 2012 spielen, blieb im Laufe der Show völlig unbegründet. Neben „Bible Black“ und „Spitfire“ spielte British Lion auch einige Neukompositionen. Daneben einen Song mit dem einschlägigen Refrain „Each thousand miles start with a single footstep.“ Leider ist mir bis heute der Titel des Songs unbekannt. Wie sich aber herausstellte, wollen die Jungs sowieso bald ein neues Album und einen Livemittschnitt der Tour veröffentlichen. Da wird‘ ich dann erfahren, wie der perfekt durchkomponierte Titel heißt.

    Nach der Show strömten einige Metalheads nach draußen an die frische aber kalte und nasse Luft. Unter dem Vordach des Technikums wurde es eng und die Luft bestand aus mehr Nikotin als Sauerstoff. Noch einmal gingen Tom und ich zum Backstage Eingang um vielleicht noch mit den anderen Musikern zu Quatschen. Da stießen wir auf einen Vater und seinen etwa 18-jährigen Sohn. Wir kamen ins Gespräch. Plötzlich sah der etwa 55-Jährige durch ein Fenster, dass sich die Leute im Gebäude versammelten. „Ich glaub‘ Steve und die Jungs geben dann Autogramme und lassen sich fotografieren.“ Diese Prozedere war mir natürlich nicht ganz unbekannt, da ich British Lion erstmals 2013 in Wien gesehen habe.

    Auch wir gingen hinein und stellten uns an. Rund eine halbe Stunde später überreichte ich Steve einen Bierdeckel mit Namen und Adresse undließ mich vom Sicherheitsmann mit der Band fotografieren. In der Zwischenzeit katapultierte er einen stark alkoholisierten, älteren Mann aus dem Technikum. Er hatte ihn wegen Steves Schweißbänder angepöbelt. Anschließend verabschiedete ich mich von Tom, Kevin, seiner Freundin, dem Bayern und den beiden Jungs von der Metal Crew und schleppte ich mich doch etwas erschöpft von der Fahrerei, Warterei und dem Mitwippen, Headbangen und Mitsingen beim Konzert zum Auto und fuhr in meine vier Wände für eine Nacht. Kevin sollte ich am Freitag in Graz wiedersehen. Aber alles der Reihe nach. Ich las noch ein paar Seiten in Don Winslows China Girl und schlief schnell ein.

    Der Donnerstag begann um 9 Uhr morgens. Ich war ausgeschlafen und freute mich schon auf die Reise nach Wien. 450 Kilometer standen bevor. Laut Navi sollte die Distanz in etwa fünf Stunden zu bewältigen sein. Tatsächlich brauchte ich fast sieben Stunden.

    Nach ein paar Zigaretten und einer Tasse Kaffee startete ich gegen 11 Uhr mein Auto, machte Halt bei einem Nahversorger, deckte mich mit Mineralwasser ein und fuhr gen der Hauptstadt Österreichs. Nach ein oder zwei Pausen machte ich noch Halt in Linz, der oberösterreichischen Landeshauptstadt, um bei einem Geschäft des Vertrauens noch einige bestellte Iron Maiden Platten abzuholen. In der Zwischenzeit kippte auf der A1 bei Asten/Sankt Florian ein Lastkraftwagen um. Dabei verlor er seine gesamte Beladung. Zwei Fahrspuren wurden blockiert, der Pannenstreifen blieb frei. Die Polizei sicherte die Unfallstelle ab und die Feuerwehr rückte mit einigen Einsatzfahrzeugen und einem Kran aus. Rund eine Stunde stand ich im Stau. Welch‘ Freude. Bis zur Wiener Außenringautobahn konnte ich meine Fahrt ohne größere Verzögerungen fortsetzen. Dann kam das übliche Chaos: Berufsverkehr, ein Unfall, Stau. Um 18.15 Uhr konnte ich mein Auto endlich in einer Park and Ride Anlage im dritten Wiener Gemeindebezirk parken. Ich kaufte mir ein Ticket für die U-Bahn, schob mich an zwei jungen Damen vorbei und trottete erschöpft von der Fahrerei zum Gleis.

    Plötzlich schnelle Schritte. „Bitte entschuldigen Sie. Siehaben Ihre Bankomatkarte im Automaten stecken gelassen.“, sagteeine der beiden jungen Frauen in schlechtem aber verständlichem Deutsch. Ich denke, sie kam aus dem Osten Europas. „Aufpassen!“, sagte sie noch und überreichte mir die Plastikkarte. Anschließend ging sie zurück, die Treppen hinauf und zum Automaten. „Gott sei Dank war sie so aufmerksam. Das hätte mir nach dieser Fahrt noch gefehlt“, sagte ich zu einem jungen und gut gekleideten Mann mit südländischem Einschlag. „Da hast echt Glück ghabt“, sagte er im Wiener Dialekt.

    Nach einigen wenigen Stationen verließ ich mit meinem Koffer, darauf eine grüne Stofftasche bestückt mit einem Tablet, ein paar Kugelschreibern, einem schwarzen Faserstift, Iron Maiden Platten sowie den British Lion und dem Book Of Souls Album, die U-Bahn und trottete zum Kebap-Haus meines Vertrauens im dritten Bezirk. Nach zwei, drei Zigaretten, einem Kebapteller und einem großen Apfelsaft mit Soda (aka Apfelschorle) schlenderte ich zur Wohnung und machte es mir auf der Couch bequem. Ich schaute fern und las anschließend noch ein paar Seiten in Don Winslows China Girl. Der Tag war gelaufen.IMG_4053.JPG

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    4 Mal editiert, zuletzt von Joe Haagwell (22. Januar 2017 um 20:14)

  • Der Donnerstagmorgen starte mit großer Vorfreude auf das British Lion
    Konzert im Majestic Music Club in Bratislava. Der erneute Regen und die
    Kälte konnte sie nicht trüben. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit
    meiner Cousine streifte ich durch Wien und ließ die Stadt auf mich
    wirken. Kaffeehäuser, prunkvolle Bauten und viele Möglichkeiten, sein
    hart verdientes Geld zügig auszugeben gibt es hier reichlich. Ich liebe
    diese Stadt. Die zahlreichen Menschen aus den verschiedensten Nationen
    machten es mir an diesem trüben Tag gleich: sie schlenderten durch die
    Straßen, machten Fotos, aßen, tranken und hatten eine gute Zeit. Ich
    kaufte mir die durchsichtige LP-Version von Soilworks „Death Resonance“
    und das aktuelle Prodigy Album „The Day Is My Enemy“ – somit war auch
    die Fahrt in die Slowakische Hauptstadt gerettet.


    Am frühen Nachmittag fuhr ich mit der U-Bahn zur Park and Ride Anlage,
    bezahlte mein Ticket, stieg ins Auto, tippte die Adresse ins Navi und
    fuhr los. Aber bereits wenige Minuten nachdem ich das Parkhaus verlassen
    hatte, kam die erste Ernüchterung: nur wenige Meter nach der Ausfahrt
    erspähte ich eine Blechkolonne, die sich in Richtung der Autobahn schob.
    Effektiver Zeitverlust: rund 20 Minuten. Aber was soll’s. Die reine
    Fahrzeit von Wien zum besagten Majestic Music Club in Bratislava beträgt
    sowieso nur ziemlich genau eine Stunde und ich war wieder viel zu früh
    dran. Damit konnte ich leben.


    Ich möchte nicht sagen, dass mich das blanke Entsetzen traf, ich war
    aber doch etwas geschockt und gleichzeitig fasziniert vom Anblick der
    Stadt, als ich mich ihr auf der Autobahn immer weiter näherte. Alte
    Hochhäuser türmten sich in den Außenbezirken der Stadt und die Straßen
    wurden immer schlechter, je weiter mich mein Auto in die Innenstadt
    trug. Derweil liegt Bratislava nur etwa eine Stunde von Wien entfernt.
    Wenn der Reisende bedenkt, dass es sich bei der Slowakei bis vor wenigen
    Jahren noch um ein echtes kommunistisches Ostblockland handelte, darf
    man sich über die Zustände der Gebäude und Straßen aber keinesfalls
    beklagen. Ich persönlich hab‘ ja auf Cuba schon schlimmere Zustände
    gesehen. Cuba ist nicht in Europa, ich weiß, aber trotzdem. Aber zurück
    zum Thema.


    Gegen halb fünf hatte mich mein Navi endgültig vor die Tore besagten
    Clubs gelotst. „Endlich wieder mal ein richtig heruntergekommener Club.
    Das gefällt mir“ – so mein erster Gedanke. Da schoss es mir: ich kann
    mich doch noch bei meinem Bekannten Peter melden. Ihn lernte ich vor
    drei Jahren auf dem Frequency Festival in Sankt Pölten in
    Niederösterreich kennen. Er arbeitet als Statistiker für die slowakische
    Regierung. Ich rief ihn also an, er hob ab und wir vereinbarten ein
    Treffen nach dem Konzert.


    Kurz darauf parkte ich mein Auto in einer Seitenstraße – direkt vor
    einem Sex-Shop – ging zum Club und musterte ihn. Ich traf auf zwei
    Tschechen, einen jungen Mann und einer etwas älteren Frau, mit denen ich
    sofort ins Gespräch kam. Ich kann mich täuschen, aber ich vermute bis
    heute, dass das Mutter und Sohn waren. Wir unterhielten uns etwas über
    Musik und diverse Genres als ich kurz darauf beschloss, mir etwas zu
    Essen zu holen. Davor holte ich mir noch mein Ticket und meinen
    angepassten Gehörschutz, den ich höchstwahrscheinlich nach dem Konzert
    irgendwo verstreut hatte, aus dem Auto, zog mein Maiden T-Shirt und
    meine Metalkutte an, warf aufgrund der Kälte meine blaue Daunenjacke
    darüber und versteckte sicherheitshalber mein Navi im Handschuhfach.


    Die Suche nach etwas Essbarem gestaltete sich einfacher als Gedacht.
    Genau gegenüber meiner Destination war eine Pizzeria. Ich trat ein und
    erkundigte mich beim Personal nach dem Raucherbereich. Auf dem Weg
    dorthin sah ich eine etwa fünfköpfige Gruppe, bestehend aus Männern und
    Frauen in Iron Maiden T-Shirts und oder Bandanas in den Haaren.
    Vielleicht war es eine Familie. Woher sie kamen, konnte ich anhand der
    Sprache nicht erkennen. „You’re also here because of Steve and the
    boys?“ Eigentlich ja eine rhetorische Frage, oder? Kollektives
    Kopfnicken und ein verhaltenes “Yeah!“ des ältesten Mannes am Tisch
    folgte. „That’s cool. See you later.“


    Ich ließ sie zu Frieden und nahm im Raucherbereich Platz. Das Lokal war
    für diese Tageszeit spärlich besucht, was aber sicher nicht weiter
    ungewöhnlich war. Inklusive mir saßen sieben Personen, allesamt
    Slowaken, in der Selchkammer. Einen davon, einen langen, älteren Kerl,
    der mit seinem Bier in der Hand einschlief nachdem er seine Pizza
    genüsslich verzehrt hatte, sah ich später beim Konzert wieder.


    Ich bestellte mir also bei der netten Bedienung, die ein nahezu
    perfektes Englisch sprach, eine Käse Pizza und abermals eine berühmte
    „Apfelschorle“. Wenige Minuten später standen Speis und Trank auf meinem
    Tisch. Ich bedankte mich und begann zu essen und zu trinken. Nachdem
    ich fertig wurde, schnappte ich Teller, Glas und Aschenbecher, brachte
    die Utensilien an die Bar und verlangte die Rechnung. „You’re paying
    cash?“ „Yeah“, antwortete ich. Und da kam die nächste und dieses Mal
    eine positive Überraschung. „That’s six Euros and 50 Cents please“,
    sagte sie. Ich glaube der Betrag stimmt so. Ich reichte ihr einen
    10-Euro Schein und ließ mir das Wechselgeld geben. Selten hatte ich so
    gut und füllend gegessen.


    Ich ging also wieder über die Straße und zurück zu den Tschechen. Vor
    der Türe rauchte ich noch eine und traf dabei auf David Hawkins, dem
    anderen Gitarristen der Truppe. Wir grüßten einander und dann zischte
    ich hinein. Nach und nach vergrößerte sich die wartende Gruppe auf circa
    sieben Leute. Auch ein Grieche, der in Bratislava für IBM arbeitete,
    stieß zu uns. Bis zum Einlass plauderten wir drei über Musik,
    Abstammungen, Essen, Politik und das liebe Geld. Und natürlich Iron
    Maiden. In der Zwischenzeit marschierten David und Grahame immer wieder
    an der wartenden Menge vorbei, um vor der Türe noch ein paar Zigaretten
    durchzuziehen.


    Dass die Slowaken aufbrausender und hitzköpfiger als wir Österreicher
    sind, war mir bereits bekannt. Aber „Live“ hatte ich das noch nie zu
    spüren bekommen. Ein großer, muskulöser Glatzkopf stemmte sich durch die
    von Menschen barrikadierte Tür. Seine Worte waren laut und hatten einen
    aggressiven Beigeschmack. Er scheuchte uns Weg von der Türe und meinte,
    dass wir den rechten Teil der Treppe für die Leute frei machen sollten,
    die rauf und runter wollten. Zumindest ließ ich mir das von dem
    Tschechen übersetzen. Klar, machen dir doch glatt. Wär doch gelacht,
    wenn wir das nicht zusammenbringen.


    Um 19 Uhr wurden die Pforten des Konzertsaales geöffnet. Nach dem
    Kartenabriss trafen sich der Grieche und ich in der ersten Reihe. Ich
    stand wieder genau auf meinem „Stammplatz“. Plötzlich tauchte auch die
    Russin auf, die ich vor zwei Tagen in München schon gesehen hatte und
    die zuvor bereits mit Grahame frühzeitig in den Saal verschwunden war.
    Sie verriet mir, dass sie Olga heißt, aus Moskau kommt und auf der
    aktuellen Tour bereits sieben Konzerte von British Lion gesehen hatte.
    Wir sollten uns in Graz ein drittes und vorerst letztes Mal sehen. Der
    Konzertsaal war düster, die Bühne vergleichbar groß wie die in München.
    Was mir imponierte waren die deckenhohen Säulen im Barbereich. Selten
    hab ich so eine schöne und gleichzeitig kuriose Bar gesehen, die zum
    Saufen und Zusammenstehen einlud.


    Wieder startete die Show von Voodoo Six pünktlich um 20 Uhr. Mit
    geballter Energie spielten sie ihre Songs. Das Publikum war besser drauf
    als das in München: die Konzertbesucher sprangen und sangen mit. Das
    Konzert war auch besser besucht als das in München. Ich ließ mich von
    der begeisterten Meute mitreißen und schrie alles heraus, was sich in
    den vergangenen Wochen in der Arbeit angesammelt hatte. Die Stimmung
    färbte auf die Band ab – das Quintett wirkte motivierter als noch zwei
    Tage zuvor.


    Etwa 45 Minuten später endete das energiegeladene Konzert der Vorgruppe.
    Band und Roadies entfernten das Equipment von der Bühne. Anschließend
    wechselte der Bassist hinter das Mischpult und leitete den kurzen
    Linecheck für British Lion. Tja, so spart man wieder eine Person und
    demnach zusätzliche Kosten. Michael Kenney, Steves Basstechniker, mit
    dem ich in Bratislava und Graz immer wieder Augenkontakt hatte – er
    verzog das Gesicht und lachte - zupfte noch ein paar Saiten auf Steves
    Fender Precision Bass, Schlagzeugfelle wurden geklopft, Gitarrensaiten
    genudelt und Mikrofone auf ihre Funktionsfähigkeit überprüft. „Alright,
    that’s fine“, sagte der Soundmensch unmissverständlich. Es dauerte
    keine zehn Minuten und ein Bühnentechniker leuchtete mit seiner
    Taschenlampe in Richtung des Soundmannes. Die Menge war bereit für die
    Show und ich freute mich auf die zweite Runde.


    Die Mannen von British Lion stürmten nach einem kurzen Intro auf die
    Bühne und legten sich gewohnt ins Zeug. Immer wieder wurden die
    Spielpausen von den Sprechchören aus dem Zuschauerraum gefüllt. Nach den
    eher ernüchternden Eindrücken aus München konnte das Sänger Richard
    kaum fassen. Überwältigt blickte er ins Publikum und hielt etwa eine
    Minute inne. Auch seinenBandkollegen Steve, Simon, Grahame und David
    blieb die gewaltige Geräuschkulisse nicht verborgen. Starr standen sie
    auf der Bühne. Das ein oder andere Lächeln kam ihnen über die Lippen.Das
    muss ein tolles Gefühl für die Band gewesen sein. „Ihr seid echt die
    besten“, sagte Richard. Normalerweise ja ein Floskel, die ein
    Konzertbesucher bei jedem Konzert mindestens einmal hört. In diesem Fall
    glaubte ich aber zu wissen, dass er es ernst meint. Mit voller
    Motivation spielten die Musiker ihr Set durch und verzichteten sogar auf
    die obligatorische „Pause“ vor der Zugabe. Unter tosendem Applaus
    neigte sich auch dieser Abend langsam aber sicher dem Ende zu. Ich
    wechselte noch ein paar Worte mit Olga und holte mir noch ein Wasser an
    der Bar. Die Autogramm- und Fotostunde ließ ich dieses Mal ohne
    schlechtes Gewissen aus.

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    3 Mal editiert, zuletzt von Joe Haagwell (4. Dezember 2016 um 17:36)

  • Plötzlich tippte mir ein junger Mann auf die linke Schulter. Mit meinem
    halb gefüllten Plastikbecher in der linken Hand wandte ich mich weg von
    der Bar und ihm zu. „Why do you wear a Croatian crest on your jeans
    jacket?“, wollte er wissen. “Fuck, das ist jetzt ein Serbe der mir am
    liebsten eine Donnern möchte”, dachte ich mir. Vorurteile über
    Vorurteile – ich weiß. Es dürfte aber durch die Bank bekannt sein, dass
    das Verhältnis zwischen den Einwohnern der beiden Länder seit dem Krieg
    teilweise immer noch sehr angespannt ist. „You know, the only two times
    I’ve seen Maiden up to now was in Croatia. One time in Zagreb, during
    their Maiden ’88 Tour, and the other time in Split, during their Book Of
    Souls Worldtour. This is the reason why I am wearing the crest.”


    Wo ich herkomme, wollte er wissen. Normalerweise sollte der Österreich
    Patch unter dem Wappen Kroatiens die offensichtliche Antwort liefern.
    „I’m from Austria“, antwortete ich trotzdem. Plötzlich standen drei
    Typen um mich herum. Meine Angst, verprügelt zu werden, war jedoch
    völlig unbegründet. „We’re all from Croatia. We were just curious“,
    sagte der eine, der mich angetippt hatte mit einem Grinser im Gesicht.
    Wir wechselten noch ein paar freundliche Worte, ich packte meine paar
    Brocken Kroatisch aus. Einer der drei erklärte mich noch in perfektem
    Englisch, dass er in Krems/Oberösterreich studiert hatte. Ich
    verabschiedete mich von den Jungs auf Kroatisch, packte meine Sachen –
    den Plastikbecher packte ich auch ein – ging hinaus und zündete mir eine
    Zigarette an. Danach rief ich Peter an und vereinbarte einen
    Treffpunkt. Den Griechen und die Tschechen sah ich nicht mehr.


    Ich traf Peter vor dem Mehrparteienhaus, in dem er wohnt. Drei Jahre
    hatten wir uns nicht mehr gesehen. Die Begrüßung war dementsprechend
    herzlich. Wir gingen in eine Bar am Dach eines Gebäudes, tranken ein
    paar Getränke und plauderten, als ob es kein Morgen mehr gibt. Darunter
    über der Rechtsruck in Österreich und der Welt, den Kommunismus und die
    „Velvet Revolution“ in der Slowakei, derer die Einheimischen genau an
    diesem Tag feierlich gedachten. Ein netter Abend neigte sich dem Ende
    zu. Auf dem Weg retour zeigte er mir noch die Blaue Kirche und ein sehr
    hoch angesehenes Gymnasium. Ein wenig wehmütig verabschiedete ich mich
    von Peter, stieg ins Auto und warf den Motor an. Da war es halb zwei in
    der Früh. Auf meinem Weg zurück nach Wien machte ich, bereits wieder in
    Österreich, halt bei einer Raststation und kaufte mir noch eine
    Kleinigkeit zu essen. Gegen halb drei kam ich dann endlich wieder in
    Wien an. Ich parkte mein Auto auf der Straße vor dem Mehrparteienhaus,
    füllte einen Parkschein aus, schleppte mich in die Wohnung, legte mich
    ins Bett und schlief rasch ein.

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  • Der Freitagmorgen begann gegen acht Uhr morgens. Ich las ein paar
    Seiten, kaufte ein paar Fressalien und zwei gekühlte Kaffees und parkte
    mein Auto wieder in besagter Park and Ride Anlage. Mein Parkschein lief
    um 9.30 Uhr aus. Danach fuhr ich mit der U-Bahn noch mal in die Wohnung
    zurück, packte meine Habseligkeiten, kaufte mir noch das neue Metallica Album "Hardwired... To Self-Destruct" zur musikalischen Untermalung der Fahr, dann zurück zum Auto und machte mich auf nach Graz. Die Reise dauerte rund zwei Stunden und war ohne besondere Vorkommnisse. Ich entkam aber dem Regen und der Kälte in Wien:
    rund eine Stunde vor Graz strahlte die Sonne vom Himmel. Die
    Temperaturen erreichten bis zu 17 Grad.


    Einmal in der steirischen Landeshauptstadt angekommen, parkte ich mein
    Gefährt vorm Mehrparteienhaus, in dem Nina, eine ehemalige
    Schulkollegin, und ihr Freund Andi leben. Ich kaufte einen Parkschein,
    nahm meinen Koffer sowie den Stoffbeutel und ging zur im Dachgeschoss
    gelegenen Wohnung. Auch die beiden hatte ich bereits mehrere Jahre nicht
    mehr gesehen. Dementsprechend herzlich fiel die Begrüßung aus. Ich
    bekam eine Tasse Kaffee und anschließend gingen wir in ein
    Bausatzrestaurant, wo wir Burger bestellten. Zur Feier des Tages taufte
    ich meinen „McSteve Harris“. Anschließend widmeten sich die beiden
    wieder ihren studentischen Arbeiten. Ich hingegen machte mich auf zum
    Orpheum – der letzten Station meiner Reise – und parkte mein Auto
    gegen 17 Uhr in der davorgelegenen Garage. Wie sich später herausstellen
    sollte, hatte die perfekte Lage jedoch einen Haken: den Preis. Für die
    rund fünf Stunden bezahlte ich etwa 23 Euro.


    Vor der Location traf ich, in meine Metalkutte gehüllt, auf einen Vater
    und seinen etwa zehnjährigen Sohn. Gemeinsam hatten sie dieses Jahr
    schon zwei, drei Maiden Konzerte besucht. Aufgeregt erzählte mir der
    Vater, dass gerade eben Steve Harris vorbeigehuscht war. Wir kauften uns
    noch bei einem Nahversorger etwas zu essen und zu trinken, plauderten
    und begaben uns wenig später, in Begleitung eines Freundes des Vaters
    und dem Chef des Fanclubs Maiden Austria United, Robert, ins Gebäude.


    Ob ich nicht das große British Lion Poster aus dem Glaskasten bekommen
    könnte, fragte ich den Mann hinter der Kassa. „Geh einfach mit! Das Ding
    geht ganz leicht auf. Ich zeig’s dir.“ Ich schnappte mir das Poster und
    ehe ich es ins Auto bringen konnte, kamen Kevin und seine Freundin
    Babsi bereits auf mich zu. „Da kommt man wo hin, und du randalierst
    schon wieder“, scherzte er. Ganz ohne Sarkasmus: Ich war echt froh, den
    Vogel wieder zu sehen. Auch Kevins Freund aus Bayern war wieder mit von
    der Partie.


    Zurück im Orpheum organisierte ich mir noch etwas zu trinken und einen
    Gehörschutz, plauderte noch ein wenig, mich und startete dann um halb
    acht, gemeinsam mit den anderen, in die leicht abfallende Konzerthalle.
    Und wieder stand ich rechts vor der Bühne. Der Vater und sein Sohn links
    neben mir. Schön langsam füllte sich auch der Raum. „Ich bin mir echt
    nicht sicher, ob das Konzert wieder genauso genial wird, wie gestern in
    Bratislava“, meinte Olga, die plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte.
    Ich stimmte ihr zu. Zu diesem Zeitpunkt waren erst etwa 20 Leute da.


    Wie wir uns doch getäuscht hatten.


    Eine halbe Stunde später startete Voodoo Six, nach ihrem marschartigen
    Intro, mit ihrem Set. Mittlerweile waren mir die Songs gar nicht mehr so
    unbekannt. Eingängige Refrains „Make way for the king“ und „Uh! It’s
    electric“ sowie die unüberhörbaren „Come ons“ und „yeahs“ des Bassisten,
    der mich bereits in Münchensowohl spieltechnisch als auch optisch sehr
    an Steve erinnerte,motivierten die mittlerweile rund 70 bis 80 Besucher
    zum Mitsingen. Die Meute sprang im Takt und schüttelte ihre Häupter. Auch
    hier was die Stimmung wieder um einiges besser als in der bayrischen
    Landeshauptstadt. An die in Bratislava kam sie aber nicht heran.


    Gegen neun Uhr verstummten dann die letzten Saiten, Schlagzeugfelle und
    Schallwellen. Band und Roadies räumten die Bühne für British Lion. Der
    Bassist wechselte wieder Saiten gegen Regler und startete noch einen
    kurzen Line Check. Ich bat den Vater, mir den Platz neben ihm
    freizuhalten und ging zwischenzeitlich noch eine rauchen.


    Um kurz nach neun war’s dann wieder soweit. Ein Bühnentechniker
    leuchtete mit seiner Taschenlampe den Soundmenschen an, das Licht ging
    aus, die Meute brach in Jubel aus und gleichzeitig startete das Intro.
    Unter den wachsamen Augen einiger griechischer Soldaten, welche auf dem
    riesigen und farbenfrohen Banner mit den Worten „Us Against the World“
    in den Krieg zogen, stürmten die Jungs von British Lion die Bühne.
    Gewohnt meisterlich spielten die Jungs, unter den wachsamen Augen von
    Chef Steve Harris, ihre Songs, Richard bewegte sich, als ob er Kung Fu
    Profi war und Steve begann rasch zu schwitzen. In den Spielpausen
    übertönten wieder Sprechchöre und Jubel Stille und Richards Reden. Der
    Sänger wirkte davon sehr mitgenommen und angespornt. Ebenso angetan
    von der Stimmung waren Grahame, der eigentlich immer Grinste, weil ihm
    die Spielerei so viel Spaß macht sowie Schlagzeuger und „Powerhouse“
    Simon. Als Richard letzteren dem Publikum mit vollen Namen – inklusive
    Mittelname, der mir, während ich diese Zeilen schrieb leider nicht
    einfallen wollte - vorstellte mussten er, Richard und sogar Steve
    lachen. Die Jungs hatten echt viel Spaß an diesem Abend.


    Steves Laune war wenige Minute später dann aber am absoluten Tiefpunkt:
    Auf einmal war sein Bassspiel nicht mehr zu hören. Er ging hinter die
    Bühne zu seinem Verstärker, schrie herum. Plötzlich schob Michael Kenney
    seinen gewichtigen Köper zu Steve, drehte an ein paar Knöpfen – er verzog keine
    Mime und kaute genüsslich und immer mit offenem Mund (!) seinen Kaugummi
    – als im ein zweiter Techniker zu Hilfe kam. Steve war bereits wieder
    auf die Bühne gehüpft. Einige Sekunden später konnten er und das
    Publikum den Bass wieder hören.Wobei ich mir nicht so sicher bin, wie
    vielen Zusehern das überhaupt aufgefallen ist.


    Sie spielten ihr Set zügig durch und nach „Eyes Of The Young“ war wieder
    Schluss. „War das jetzt alles?“, fragte mich der Vater. Ich verstand
    ihn kaum, da die Meute laut nach einer Zugabe schrie. Ich musste seine
    Frage leider bejahen.


    Ich plauderte anschließend noch mit den Jungs von Voodoo Six, ließ mich
    noch einmal mit Steve und den Jungs fotografieren, verabschiedete mich
    von Olga, dem Vater und seinem Sohn, nahm mir noch ein Poster von der
    Pinnwand am Ausgang mit, ging zur Parkgarage, zahlte, hüpfte ins Auto
    und fuhr wieder zu Nina und ihrem Freund.


    Erschöpft schleppte ich mich wieder ins Dachgeschoß des
    Mehrparteienhauses und legte mich, nachdem mich mir noch ein Interview
    mit Richard Tylor, der nach den Konzerten nie für ein Foto zu haben war,
    durchgelesen hatte, schlafen. „Er ist sehr schüchtern und will seine
    Stimme schonen“, meinte Olga die Gründe dafür zu wissen. Naja,
    schüchterner als Steve, der während der Bandvorstellung mit dem Rücken
    zum Publikum steht, den Schweiß von seinem Gesicht wegwischt, etwas
    trinkt und seinen Bass stimmt, kann er ja fast nicht sein, oder? Naja,
    who knows. „Er ist einfach ein richtig arroganter Arsch, der glaubt dass
    die Leute nur wegen ihm kommen. Eigentlich kommen sie ja wegen Steve“,
    meinte Kevin. Was ich denke? Ich vermute ersteres.


    Am Samstagmorgen vergangener Woche ging ich mit meinen beiden Gastgebern
    noch Frühstücken. Dann packte ich mein Zeug, bedankte mich und
    verfrachtete mein Gepäck ins Auto. Gegen 11 Uhr machte ich mich auf nach
    Wels, wo ich nach zwei oder drei Pausen gegen 14.30 Uhr wahrlich
    erschöpft und auch etwas wehmütig Uhr ankam.


    Drei Konzerte in drei Ländern. Mehr als 1400 gefahrene Kilometer in vier
    Tagen. Eine wahnsinnig spannende Reise voller Musik ging an diesem
    Samstag zu Ende. Ich hab viele neue Leute kennengelernt, Verwandte und
    Freunde wieder getroffen, neue Kontakte geknüpft. „In dieser Welt sind
    wir alle eine große Familie. Ganz egal wo du herkommst“, sagte Olga, die
    mittlerweile wieder in Moskau ist, aber im Dezember noch für einige
    Konzerte nach Westeuropa zurückkehrt.

    No reason to live - but I like it that way.

    5 Mal editiert, zuletzt von Joe Haagwell (22. Januar 2017 um 20:16)

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